Sir Walters letzter Törn

Es ist schon eine vertrackte Sache, erst wenn jemand nicht mehr da ist, fängt man plötzlich an, sich Gedanken über ihn zu machen und Dinge zu vermissen, die man bisher für selbstverständlich gehalten hat.

Walter war für mich ein Freund, ein Segelfreund, aber auch ein Rivale auf dem Wasser, dem ich seinen Vorteil, wenn er ihn sich mal erkämpft hatte, nicht immer gegönnt habe. Walter war sehr umgänglich und vor allem den Damen gegenüber ein Gentleman alter Schule. Für uns deshalb „Sir Walter“. Er konnte seinen Charme so richtig sprühen lassen, auf der anderen Seite aber auch ausgesprochen ruppig werden, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Dann kam der alte „Haudegen“ wieder durch, der er in seinen jüngeren Jahren als Führer einer Hubschrauberstaffel einmal sein musste.

Walter konnte mein Vater sein, vielleicht sogar mein Großvater. Und wie es bei den eigenen Eltern nun mal so ist, wenn sie mal wieder alles besser wissen, hatte ich auch mit Walter manchmal meine Probleme. Wenn er glaubte,  mich z.B. wegen einer flapsig daher gesagten Bemerkung in die Schranken weisen zu müssen. So was geht dir gewaltig auf den Senkel. Aber wenn du es geil findest, für einige Wochen des Jahres mit einer kunterbunt gemischten Crew richtigen Segelspaß zu haben, dann musst du eben Zugeständnisse machen. Also habe ich Walter bis zu einem gewissen Grad als „Respektsperson“ akzeptiert und alles war im Lot.

Walter war ein Fuchs, der mit seinen zuletzt 75 Jahren, vor allem bei schwerem Wetter,  nicht mehr mit vollem Körpereinsatz segelte, immer aber mit einer guten Nase für den Wind. Vor allem hatte er einen ausgeprägten Orientierungssinn. Er hatte die Kompassnadel im Kopf.

Als er sich nach einem heißen Ritt einmal geschlagen geben musste, relativierte er schnell die Situation: „Du magst ja vielleicht besser segeln könne, dafür weiß ich aber besser wo Norden ist!“ Seitdem war er für uns unumstritten immer derjenige, der am besten wusste, wo Norden ist.

Dabei halfen ihm, wenn es sein musste, auch die Sterne. Ich kenne niemanden, der sich mit den Konstellationen des Sternenhimmels so gut auskannte wie Walter. Als wir in Schweden einmal unter freiem Nachthimmel auf dem Trampolin unserer Boote lagen und in den wunderbar klaren Sternenhimmel des Norden schauten, zeigte er uns die Venus, den Andromedanebel und einen Stern, von dem ich bis dahin nicht mal den Namen gehört hatte: Kassiopeia!

Wenn ich künftig hinauf schaue, bin ich sicher, dass uns von irgendwo da oben auch Walter anblinzelt. Er ist bestimmt selbst einer von denen geworden. Eine beruhigende Vorstellung, jetzt haben wir einen von uns da oben, der ein Auge auf uns hat und
uns die richtigen Zeichen geben wird.

Ich sag’ nicht „Tschüß“ oder „fare well“, ich weiß, er wird bei uns und um uns sein, wenn wir mit den Kats demnächst wieder im Norden unterwegs sind.

Mach es jut Walter...

 

 

MN/13.01.2004